Wortschatz
Die zahlreichen Neuerungen der ersten nachchristlichen Jahrhunderte lassen sich wie folgt gliedern:
1. Reduktion des Synonymenreichtums
- So steht urbs ‘Stadt als Gesamtheit der Gebäude’ neben civitas ‘Bürgerschaft, Gesamtheit der Einwohner einer Stadt’.
Nur eines dieser Wörter bleibt erhalten: civitatem > it. città. - Das klassische Latein unterscheidet vir ‘Mann’ und homo ‘Mensch, Mann’.
Das Vulgärlatein und die romanischen Sprachen beschränken sich auf homo, hominem > it. uomo, fr. homme, span. hombre. - Equus ist im klass. Latein das Reitpferd; daneben existiert caballus ‘Zugpferd, Arbeitspferd’, das einen negativen Beigeschmack hat (ähnlich wie Gaul).
In den romanischen Sprachen lebt nur eines dieser beiden Wörter weiter: caballum > rum. cal, it. cavallo, lad. caval, fr. cheval, span. caballo, portug. cavalo. - Zur Bezeichnung des „Feuers“ hatte das klass. Latein ebenfalls 2 Wörter: ignis, das alte indogerman. Wort, und focus, ein Wort unsicheren Ursprungs, das soviel wie ‘häusliches Feuer, Herd, Herdfeuer’ bedeutete.
Im Vulgärlatein übernahm focus auch die Bedeutung ‘Feuer im allgemeinen’ und verdrängte ignis, das in den romanischen Sprachen keine Spuren hinterlassen hat.
Überall in der Romania finden sich Nachfolger von focus > ital. fuoco
(vgl. lat. focum facere ‘das Herdfeuer anzünden’ > ‘Feuer anzünden’ > franz. ‘faire un feu’)
2. Unregelmäßig flektierte Wörter werden durch regelmäßige ersetzt
- Bei Verben z.B.:
canere > cantare (von cantus) > it. cantare, franz. chanter
ferre > portare > it. portare, franz. porter
fari, loqui> fabulare und parabolare > it. parlare, franz. parler
- Bei den Substantiven Tendenz zur -a und -o-Deklination:
Iter, itineris > via > via oder strata > it. strada
- Bei einigen Verben Anpassung an die regelmäßige Konjugation:
velle > *volere > it. volere, franz. vouloir
posse > *potere > it. potere
3. Kurze Wörter neigen zum Schwund, sie werden durch längere ersetzt, z.B.
rus ‘Land’ durch campania > it. campagna, franz. campagne
Häufig geschieht der Ersatz durch Ableitung vom gleichen Lexem, worin sich ebenfalls die Tendenz zur Verlängerung der Wörter manifestiert:
hiems ‘Winter’ > hibernum > it. inverno, franz. hiver
dies ‘Tag’ > diurnus > it. giorno., franz. jour
Besonders beliebt waren Diminutivableitungen:
auris ‘Ohr’ > auricula > it. orecchia, fr. oreille
circus ‘Kreis’ > circulus > it. circolo, franz. circle
agnus ‘Lamm’ > agnella > it. agnello
4. Neigung zu expressiven Wörtern, zu volkstüml. Kraftausdrücken
Einige haben sich in den roman.Sprachen erhalten. Hier einige Besispiele:
- Edere ‘essen’ wurde - weil es zu wenig Lautsubstanz hatte und in einigen Konjugationsformen mit ESSE homonym (gleichlautend) war (est ‘er ist / er ißt’), schon im frühen Vulgärlatein durch die Präfixableitung comedere ‘(auf)essen, schmatzen’ ersetzt.
Diese Ableitung lebt auf der spanischen Halbinsel weiter: span. portg. comer. - In Rumänien, Italien und Gallien findet man für „essen“ Wörter, die offensichtlich einen anderen Ursprung haben, jedoch dem dem gleichen Schema folgen, statt edere kräftigere, ausdrucksstärkere Wörter zu verwenden:
Vulgärlatein manducare (Ableitung von manducus ‘Vielfraß’)
Der manducus war eine komische Figur in der lateinischen Stegreifkomödie. manducare war ursprünglich eine Art Kraftausdruck mit der Bedeutung ‘futtern, sich vollstopfen; kauen’
rum. mînca, altital. manducare/ mandicare, franz. manger (> it. mangiare) usw.
- flere ‘weinen’ wird ersetzt durch die expressiveren Wörter plorare ‘laut jammern’ (frz. pleurer) und plangere ‘sich auf die Brust schlagen’ (damals eine Geste heftiger Trauer), vgl. it. piangere.
- Das lat. Wort “equus” (Pferd) verschwand völlig. Es ist in keiner modernen Sprache mehr nachweisbar.
- An seine Stelle trat das ausdrucksstärkere umgangssprachliche Wort “caballus” (Gaul, Lastpferd), das zur Grundlage für die romanischen Wörter für Pferd wurde (cheval, caballo).