Das Übersetzungsproblem

1.

Ziel einer guten Übersetzung ist natürlich eine weitgehende Äquivalenz zwischen Ausgangs- und Zieltext. Diese läßt sich allerdings nie völlig erreichen. Es ist unmöglich, Sprachrythmen, Lautsymbolik (Wortmalerei, usw.), Wortspiele und kulturelle Anspielungen exakt zu übertragen. Dies gelingt nicht einmal bei Umschreibungen in derselben Sprache: Ein gewisser Informationsverlust in unvermeidlich.

Andererseits gibt es viele Arten von Übertragungen, die zwar nicht 100%ig sind, für die praktischen Anforderungen jedoch genügen. Hieraus folgt, daß es eine “beste” Übersetzung nicht gibt. Die Tauglichkeit einer Übersetzung hängt von ihrem Verwendungszweck ab. Maßgeblich sind die Anforderungen der Zielgruppe, für die sie angefertigt wurde.

In manchen Fällen ist deshalb eine möglichst genaue Übertragung des Inhalts von Bedeutung, in anderen Fällen kommt es mehr auf die äußere Form an.

  1. Ist z.B. für ein Unternehmen nur der Inhalt einer brieflichen Anfrage von Bedeutung, kann schon eine hölzerne Rohübersetzung diesem Zweck genügen.

  2. Dagegen ist bei der Übersetzung eines wissenschaftlichen Textes die genaue Wiedergabe des Inhalts von entscheidender Bedeutung.

  3. Bei einer dritten Gruppe steht die ästhetische Form im Vordergrund.

    Der Übersetzer, der z.B. die Texte eines Filmmanuskripts in eine andere Sprache übertragen soll, hat bei der Synchronisation primär Wert auf eine genaue Übereinstimmung der Lippenbewegungen zu legen und kann hierfür geringfügige sprachliche Abweichungen von der Ausgangssprache hinnehmen.

  4. Bei literarischen Übersetzungen schließlich müssen sowohl Form als auch Inhalt mit großem Feingefühl berücksichtigt werden.
    Hier sind oft mehrere Übersetzungen möglich, die jeweils einen anderen Aspekt des Originals stärker hervorheben. Was im einen Fall also die “beste” Übersetzung ist, kann im anderen völlig unzureichend sein.

2,

Es läßt sich somit folgende Klassifikation aufstellen, um diesen Katalog von Möglichkeiten abzudecken:

  • pragmatische Übersetzung, bei denen es vor allem auf Genauigkeit und Fachkenntnis ankommt.

    Beispiel: Bedienungsanleitungen und wissenschaftliche Texte.

  • Ästhetische Übersetzung. Sie hat die Erhaltung des emotionalen und kognitiven Gehalts zum Ziel und versucht, eine gewisse stilistische Äquivalenz herzustellen. Sie spielt bei literarischen Vorlagen eine wichtige Rolle.

  • Ethnographische oder soziolinguistische Übersetzungen konzentrieren sich auf den kulturellen Hintergrund.

  • Linguistische Übersetzungen versuchen, strukturelle Eigentümlichkeiten des Ausgangstextes möglichst wörtlich zu übertragen, um bestimmte Merkmale (Archaismen, Dialektausdrücke, Förmlichkeitsebenen) zum Ausdruck zu bringen.

Die meisten Übersetzungen stellen natürlich Mischformen dar, wobei es jedoch unterschiedliche Gewichtungen dieser Gesichtspunkte gibt.