Genetische Methoden

Die genetischen Methoden, Verwandtschaften zwischen Sprachen festzustellen, basieren auf der in den letzten Jahren gewonnen Erkenntnis, daß die genetische Klassifikation der Völker  verblüffend oft deckungsgleich ist mit mit den rekonstruierten familiären Beziehungen unter den von ihnen gesprochenen Sprachen.

Hierzu eine kurze schematische Übersicht, wobei der linke Teil die genetische Verwandtschaft der Sprachen angibt. Je größer der genetische Abstand, desto früher haben sie sich voneinander getrennt, Die genetische Verwandtschaft entspricht fast einem Zeitraster.

 
Eine erste grobe Klassifikation der genetischen Untersuchungen hatte ergeben, daß sich die Völker dieser Erde anhand ihrer genetischen Eigenschaften im Grunde zunächst in nur zwei Gruppen  einteilen lassen: Die Einheimischen Zentral- und Südafrikas (also der Gebiete südlich der Sahara) und den Rest der Welt.

In diesem Zusammenhang ist übrigens interessant, daß die Nordafrikaner den Europäern und einigen asiatischen Völkern entwicklungsgeschichtlich - genetisch wie sprachlich - näher stehen als den Einheimischen von der Mitte und dem Süden des afrikanischen Kontinents. Dies belegt, daß die Vorfahren der nordafrikanischen Bevölkerung dort nicht entstanden sind, sondern (wohl bei einer der ersten Ausbreitungswellen) zugleich mit dem Gebiet Anatoliens besiedelt worden sind.

Die in den letzten Jahren gewonnenen weiteren genetischen Erkenntnisse decken sich verblüffend gut mit den Ergebnissen, die die herkömmlichen Wissenschaften - insbesondere die Biologen, Archäologen und Linguisten - zuvor mit den klassischen Methoden (z.B. durch die Untersuchung von fossilen Zeugnissen und Steinartefakten, wie Skelettresten, Faustkeilen, usw) über die Entwicklung, Abstammung und Ausbreitung der Menschheit herausgefunden hatten.

Danach galt es bereits vor diesen neuesten Forschungen als gesichert, daß sich die Menschen im Osten/Südosten Afrikas entwickelt hatten und von dort aus in mehreren Schüben die übrige Welt besiedelt hatten.

Die Ursachen hierfür waren wohl - wie fast immer in der Geschichte der Menschheit, aber auch in der Natur -

  • entweder eine Verschlechterung der Lebensbedingungen in einer bestimmten Region (z.B. wegen klimatischer Veränderungen)

  • oder aber - umgekehrt - eine starke Vermehrung, die auf verbesserte Lebensbedingungen zurückzuführen waren (z.B. bessere Jagdtechniken und Jagdwaffen), und die durch den entstehenden starken Bevölkerungsdruck die Erschließung weiterer Jagd- oder Siedlungsgebiete erzwang. Also aus ganz ähnlichen Gründen, die viele 10.000 Jahre  später zur Ausbreitung der Indoeuropäer (und mit ihnen ihrer Sprache) über ganz Europa und Teile Asiens führte (hier)

Es liegt mehr als nahe zu vermuten, daß die (ja jeweils im Stammesverbund oder einer größeren Einheit lebenden) Einwanderer hierbei ihre eigene Sprache mitgebracht haben.

Mögen sich die Einwanderer im Verlauf der Wanderung auch in einzelne Gruppen aufgespalten haben, mögen diese Gruppen mehrfach weitergezogen sein, mögen sich einzelne Teile schließlich auch in den entlegensten Gebieten befunden haben - ihre Sprache haben sie jeweils mitgenommen.

Dies läßt die grundsätzliche Annahme zu, daß man in den Gebieten, in denen sich eine bestimmte Bevölkerungspopulation befindet, auch die jeweils von ihnen gesprochene Sprache findet, und zwar ganz unabhängig davon, wie weit entfernt dieses Gebiet von anderen Regionen ist, wo sich weitere Gruppen oder Völker aus dem gleichen Ursprungsgebiet befinden.

Dies bedeutet letztlich, daß eine genetische Verwandtschaft zwischen Völkern, Volksteilen oder größeren Bevölkerungsgruppe in aller Regel (abgesehen von Sondereinflüssen) auch eine entsprechende Verwandtschaft der von ihnen gesprochenen Sprachen zur Folge hat.

Das Hauptproblem hierbei liegt nun darin, diese sprachliche Verwandtschaft überhaupt erst einmal zu erkennen, da die Ähnlichkeiten der Sprachen wegen der seit der Trennung verstrichenen langen Zeiträume (in denen sich die Sprachen unterschiedlich voneinander entwickelt, d.h. auseinander entwickelt haben), häufig nicht mehr zu erkennen sind.

Und genau an diesem Punkt setzen die genetischen Methoden an.

1. Sie erleichtern es dem Linguisten zum einen, verschüttete (also nicht mehr ohne weiteres erkennbare) Verwandtschaften überhaupt erst aufzudecken , um dann mit einem gezielten Sprachvergleich zu beginnen.

Angesichts der Vielzahl der existierenden Sprachen (Schätzungen schwanken zwischen 3.000 und 10.000 heute noch gesprochener Sprachen) ist es völlig ausgeschlossen, sämtliche oder auch nur einen Großteil der Sprachen (sozusagen “auf Verdacht”) miteinander zu vergleichen.

Der Aufwand hierfür stiege nach den Gesetzen der Kombinatorik ins Astronomische, was mit den vorhandenen beschränkten Personal- und Sachmittteln nicht zu bewältigen wäre, zumal ja bei den einzelnen Sprachen zunächst noch die (äußerst aufwendige) Rückführung der derzeitigen Wörter auf die ursprünglichen Formen (z.B. nach den Gesetzen der Lautverschiebung) erfolgen müßte.

2. Sie ermöglichen eine gewisse Vorauswahl, um ersichtlich nicht in Betracht kommende Sprachen auszuscheiden und die begrenzt vorhandenen Mittel gezielt für Erfolg versprechende Projekte einzusetzen.

3. Sie dient dazu, die durch die herkömmlichen Methoden gewonnenen Ergebnisse abzusichern - oder auch zu verwerfen. Diese Kontrollfunktion ist gerade bei unsicheren Ergebnissen nicht hoch genug einzuschätzen

Probleme ergeben sich häufig bei zeitlich länger zurückliegenden Projekten, wo auf den ersten (und auch zweiten) Blick kaum noch eine Ähnlichkeit festzustellen ist. Hier hilft häufig die genetische Methode.

Umgekehrt kommt es vor, daß sich 2 Sprachen sehr ähnlich zu sein scheinen, ohne daß sie es tatsächlich sind. Dies ist häufig der Fall bei umfangreichen Kultur- oder Handelskontakten. Auch in solchen Fällen läßt sich sehr häufig nicht feststellen, ob 2 Sprachen einander ähneln, weil sie gleichen Ursprungs sind oder weil sie voneinander entlehnt haben. Auch hier hilft häufig die genetische Methode.
 

4. Und schließlich ergänzt sie das methodische Instrumentarium und eröffnet die Möglichkeit einer interdisziplinären Zusammenarbeit verschiedener Wissenschaftszweige bei der Erforschung sprachlicher und kultureller Zusammenhänge unterschiedlichster Völker und Rassen.

Es ist jedenfalls beeindruckend, wie stark sich die herkömmlich gewonnenen und die genetischen Ergebnisse decken. Damit ist auch der letzte Zweifel an der Zuverlässigkeit der Erkenntnisse der Linguistik beseitigt.