Alter der Sprache
Die Ansichten in der Wissenschaft, seit wann der Mensch über die Fähigkeit zu sprechen verfügt, gehen weit auseinander. Sie reichen von 40.000 Jahren bis zu etwa 2 Mio. Jahren (!).
Die archäologischen Indizien sprechen eindeutig dafür, daß Sprachen, die in Grammatik und Vokabular unseren heutigen Sprachen ähneln, schon seit mindestens 40.000 Jahren existieren.
Wann sich diese Sprachen im einzelnen entwickelt haben, also allmählich über erste primitive Grunzlaute hinausgingen (die zu Hinweis- und Warnzwecken sicher schon recht früh entstanden sind), läßt sich aus den Steinfunden nicht herleiten.
Weitere Hinweise liefern medizinisch-anatomischen Untersuchung von Skelettfunden. Nach sämtlichen Erkenntnissen, die dabei gewonnen wurden, sind sich die Wissenschaftler einig, daß sich die derzeit existierende Menschenart (der Homo sapiens sapiens) seit 100.000 bis 150 .000 Jahren nicht mehr grundlegend verändert hat.
Dies bedeutet u.a., daß die Menschen in diesem Zeitraum mit der gleichen Gehirngröße und dem gleichen Sprechapparat ausgestattet gewesen sind wie wir heute, so daß der Entwicklung und Verwendung von Sprache vermutlich weder intellektuelle noch anatomische Hindernisse im Wege standen.
Die Zunge der damaligen Menschen war genauso beweglich wie die unsere, ihr Kehlkopf hatte Stimmbänder so wie wir, und ihr Gehirn besaß all jene Fähigkeiten, die erforderlich sind, um Sprache zu erzeugen und zu verstehen.
In früheren Perioden war dies nicht zwangsläufig der Fall. So verfügten die Neandertaler, die vor und noch einige Zeit gleichzeitig mit dem modernen Menschen lebten und etwa vor 35.000 Jahren ausstarben, zwar über ein gleich großes (und sogar noch etwas größeres) Gehirn wie wir, jedoch wies die Form ihrer Schädel- und Kieferknochen einige Unterschiede zu den unseren auf.
Dies hatte möglicherweise zur Folge, daß sie bestimmte Sprachlaute, die heute allgemein verbreitet sind, nicht äußern konnten.
Freilich ist dies alles andere als sicher, da wir von den Neandertalern nur über Fragmente ihrer Knochen verfügen und die Sprache zudem durch Bewegungen der Weichteile in Mund und Rachen erzeugt wird. Die Forscher müssen daher aus der Gestalt der Knochen auf die Form der Weichteile schließen, was ausgesprochen schwierig ist. Und da sich die Schädelknochen der menschlichen Vorfahren aus der Zeit vor den Neandertalern noch stärker von den unsrigen unterscheiden, ist die Wahrscheinlichkeit groß, daß sie aus physiologischen Gründen nicht so sprechen konnten wie wir.
Andererseits steht dies der Annahme einer Sprache nicht entgegen. Denn die Frage, ob die Vormenschen sprechen konnten, wäre ja auch dann zu bejahen, wenn die Art ihrer Sprache sehr viel anders wäre als unsere heutige.
Neue Funde:
Ohnehin muß man den Beginn der Sprachentwicklung möglicherweise deutlich früher ansetzen als bisher angenommen. Denn bislang datierte man den Beginn der kulturellen Entwicklung, wie wir sie verstehen, etwa auf die Zeit, als der moderne Mensch (homo sapiens sapiens) in Europa auftauchte und den Neandertaler nach und nach verdrängte, also auf die Zeit vor rund 35.000 Jahren.
Anfang April 2004 haben jedoch Wissenschaftler in einer Höhle bei Kapstadt den weltweit ältesten Schmuck entdeckt, der sich eindeutig datieren läßt. Es handelt sich um 75.000 Jahre alte, mit Resten von Ockerfarbe bemalte durchbohrte Schneckenhäuser. Diese waren offensichtlich Teil einer Kette und stammen aus der afrikanischen Mittelsteinzeit.
Kurz zuvor waren in der Blombos-Höhle bei Kapstadt auch 2 ockerfarbene Steine mit eingeritztem Dekor aus der gleichen Zeit gefunden worden.
Bisher hatten Muschelschmuck aus der Türkei und bearbeitete Straußeneier-Schalen aus Kenia mit einem Alter von rund 40.000 Jahren als weltälteste Schmuckstücke gegolten.
Die erbsengroßen Schneckenhäuser sind alle an der Oberseite durchbohrt und haben an bestimmten Stellen Abnutzungsspuren, wie sie beim Tragen durch das Scheuern auf Haut oder Fell (bzw. Kleidung aus Fellen) entstehen.
Der Fund ist nach Angaben der Wissenschaftler rund 30.000 Jahre älter als alle zuvor identifizierten persönlichen Schmuckgegenstände. Dies legt den Schluß nahe, daß sich das Kunstempfinden und das moderne Verhalten des Menschen sehr viel früher entwickelt hat als bisher angenommen.
Das Wissenschaftlerteam geht davon aus, daß die damaligen Künstler bereits eine ausgeprägte Sprache hatten, um die symbolische Bedeutung des Schmucks anderen zu vermitteln.
Ohnehin ist es kaum vorstellbar, daß eine Kulturstufe, die derart filigrane Kunstwerke schafft, ohne die Benutzung von Sprache entstanden sein kann.
Resümee:
Fassen wir zusammen: Im Ergebnis läßt sich mit ziemlicher Sicherheit festhalten, daß es Sprachen wie unsere heutigen bereits seit mindestens 40.000 Jahren gibt, vielleicht aber auch sehr viel länger. Der frühestmögliche Zeitpunkt liegt bei etwa 2 Mio. Jahren, als die Menschen begannen, Steinwerkzeuge herzustellen.