Lautverschiebung

Methoden der Rekonstruktion


Bei der Erforschung von Sprachfamilien und der Rekonstruktion von Sprachen, über die es keine ausreichenden schriftlichen Aufzeichnungen gibt, bedient man sich neben der komparativen Methode vor allem der Methoden der vergleichenden Linguistik , insbesondere der Grimm’sches Gesetz der Lautverschiebung und der Verner’schen Gesetze, die die Grimmschen Gesetze modifizieren und ergänzen.Forscher4

Die komparative Methode ist häufig sogar erst nach vorheriger Anwendung der Gesetze über die Lautverschiebung überhaupt möglich, da sich die Ausgangssprachen, die man mit der komperativen Methode vergleichen will, um Ähnlichkeiten und Verwandtschaften festzustellen oder auszuschließen, oft in den vergangenen Jahrtausenden so stark verändert haben, daß Vergleiche nicht mehr möglich wären bzw. zu falschen Ergebnissen führen würden

Ein schönes Beispiel hierfür ist das lateinische und das griechische Wort für “Gott” (lat.:deus, griech.: theos). Sie sind sich so ähnlich, wie man es sich nur wünschen kann. Trotzdem sind sie erstaunlicherweise etymologisch nicht identisch !
Denn einem lat. d entspricht das griech. d (geschrieben Delta) und nicht das griech. th (geschrieben Theta), vgl etwa lat. decem (zehn) und griech. deka, oder lat. dicere (älter: deic-ere, sagen) zu griech. deik-ein. Je weiter man in die Geschichte des Lateinischen und Griechischen zurückgeht, desto weniger gleichen sich die Wörter. Ihre Ähnlichkeit ist also nicht ursprünglich.


Dieses Beispiel belegt, daß man die betreffenden Wörter oder Sprachen vor der Anwendung der komparativen Methode erst linguistisch “vorbereiten” muß.

Grimm’sches Gesetz (1. bzw. germanische Lautverschiebung)


Dieses 1822 von Jacob Grimm formulierte Gesetz beschreibt erstmals systematisch den Lautwandel innerhalb der indogermanischen Sprachen, insbesondere das Muster für die Veränderungen der Verschlusslaute ([p]).

Grimm erkannte, daß Wörter, die in Latein, Griechisch oder Sanskrit mit [p] anlauten, in den germanischen Sprachen meist mit [f] beginnen:

lateinisch deutsch
pes Fuß
piscis Fisch

In ähnlicher Weise wurde [t] im Englischen meist zu [? ], wie bei:

lateinisch englisch
tres three

Die 1. Lautverschiebung setzte etwa zwischen 1.200 und 1.000 v. Chr. ein und war zwischen 500 und 300 v. Chr. abgeschlossen.

  • Sie führte zur Differenzierung zwischen den germanischen und den übrigen indogermanischen Sprachen.
  • Die stimmlosen Verschlusslaute p, t und k des Indoeuropäischen wurden im Althochdeutschen zu stimmlosen Reibelauten f, d und h, im Englischen zu f, th und h (z. B. lateinisch pater zu althochdeutsch Fater, englisch father, neuhochdeutsch Vater);
  • die stimmhaften Verschlusslaute b, d und g wurden zu den stimmlosen Verschlusslauten p, t und k    (z. B. lateinisch dens zu englisch tooth);
  • die behauchten Verschlusslaute bh, dh, gh wurden zu stimmhaften Reibelauten und schließlich zu den stimmhaften Verschlusslauten b, d, g (z. B. indogermanisch ghostis zu neuhochdeutsch Gast).


Die 2. oder hochdeutsche Lautverschiebung vollzog sich von etwa 500 bis 800 n. Chr. Diese Verschiebungen im Konsonantensystem führten zur Ausgliederung der althochdeutschen Dialekte aus den übrigen germanischen Sprachen und Dialekten. Betroffen waren hiervon die hochdeutschen Dialekte Süddeutschlands, die die Grundlage für das spätere Neuhochdeutsche bildeten.

Das Wissen um die Gesetzmäßigkeiten des Lautwandels ist von großer Bedeutung, da es die Verwandtschaft der germanischen und indogermanischen Sprachen bestätigt und die Entwicklung moderner Sprachen wie z. B. Englisch, Niederländisch und Niederdeutsch aus den alten germanischen Sprachen aufzeigt.

Das Grimm’sche Gesetz zeigt, dass sich Veränderungen innerhalb einer Sprache und auch in Sprachgruppen allmählich vollziehen und nicht Ergebnis willkürlicher Änderungen in einzelnen Wörtern sind.

Das Werk von Jacob Grimm wurde durch die Ausführungen des dänischen Philologen Karl Adolf Verner zur Akzentverschiebung ergänzt. Siehe Verner’sches Gesetz; Deutsche Sprache.

Verner’sches Gesetz


Der dänischen Philologe Verner entdeckte im Jahr 1875 Ausnahmeregeln zur ersten Lautverschiebung . Er ergänzte bzw. modifiziert das Grimm’sches Gesetz in einigen wichtigen Randbereichen.

Das Verner’sche Gesetz beschreibt die gesetzmäßige Verschiebung des Wortakzents, die in Wörtern der germanischen Sprachen nach der von Grimm beschriebenen Konsonantenverschiebung eingetreten ist.

Nach Grimm verschoben sich die indogermanischen Laute p, t und k der Ursprache in den germanischen Sprachen zu f, th und h. Indogermanisch b, d und g wurden gleichzeitig zu Germanisch p, t und k.

Verner entdeckte nun, dass dies nur eintritt, wenn der Wortakzent auf die Stammsilbe fällt. Liegt der Wortakzent dagegen auf einer anderen Silbe, werden Indogermanisch p, t und k zu Germanisch b, d und g.

Verner wandte diese Regel auch auf die Konsonanten s und r an. Das Verner’sche Gesetz besagt, daß in den germanischen Sprachen mediale und finale Frikative (Reibelaute in Mittel- und Endstellung) stimmhaft werden, wenn sie in der indogermanischen Ursprache nach einer unbetonten Silbe standen.

Die Bedeutung seiner Arbeit für das Studium der Sprachen liegt darin, daß sie zeigt, daß Sprachwandel entwicklungsbedingt auftritt und phonetische Gesetze keine Ausnahmen oder Lücken aufweisen.

Die Arten des Lautwandels sind hier in einer Übersicht zusammengestellt.