Der Weg zu einer einheitlichen Sprache

Bis zum Ende des Mittelalters und weit darüber hinaus war Deutschland in Hunderte von kleinen und kleinsten Sprachparzellen zersplittert. Eine halbwegs einheitliche Sprache bestand nicht. Schon im nächsten Dorf, in einem anderen Tal war eine gegenseitige Verständigung teilweise kaum möglich.

Noch krasser als bei der Sprache waren die Unterschiede im Schriftdeutsch. Zwar hatte der zunehmende Handel und die Kommerzialisierung des täglichen Lebens zu einer gewissen Verschriftlichung geführt. In den spätmittelalterlichen Städten hatte sich ein neuer Stand herausgestellt, das Bürgertum. Diese Schicht aus Kaufleuten und Handwerkern war für ihre alltäglichen Geschäfte immer stärker auf das Schreiben und Lesen angewiesen. Und das wollten sie in ihrer Muttersprache tun und nicht länger auf Latein.

Auch die Zahl der Städte war sprunghaft angestiegen, und zwar in den 300 Jahren von 1200 bis 1500 n.Chr. von 250 auf rund 3000 Städte. Gefördert wurde diese Entwicklung durch die Verbesserung landwirtschaftlicher Methoden, die Rodung großer Landstriche, die beginnende Industrialisierung (Textilindustrie, usw.), die Kolonisierung der Gebiete östlich der Elbe und Saale und die starke wachsende Bevölkerungszahl.

Die steigende Bedeutung des Handwerks, des Kreditwesens, usw. erforderte eine kaufmännische Buchführung und das Schreiben von Geschäftspost. Auch dies förderte das Bedürfnis nach einer einheitlichen Sprache. 

Bedeutung der Bibelübersetzung

Der ausschlaggebende Faktor in der Entwicklung war die Bibelübersetzung durch Dr. Martin Luther. Er habe, wie Thomas Mann meinte, „durch seine gewaltige Bibelübersetzung die deutsche Sprache erst recht geschaffen“.

Zwar hegte Luther keinerlei sprachpolitischen Ehrgeiz. Die Sprache war für ihn Mittel zum Zweck, nämlich das Wort Gottes allen Menschen zwischen Nordseeküste und den Alpen zu vermitteln. Hierfür suchte er Wörter, grammatische Formulierungen und Schreibweisen mit der größtmöglichen Verbreitung und Verständlichkeit.

In diesem Punkt unterschied sich seine Bibelübersetzung entscheidend von vorhandenen früheren Bibelübersetzungen, die es schon gab. Diese hatten sich nicht durchsetzen können, weil sie sich von der lateinisch-griechischen Vorlage nicht lösen konnten und durch ihre (teilweise wörtliche) Übersetzung hölzern und umständlich wirkten.

Diesen Fehler vermied Luther, indem er „dem Volk auf das Maul schaute“, um den richtigen Ton zu treffen.

Ferner übersetzte er nicht direkt in die verschiedenen Sprachen, die er hörte. Dies wäre wesentlich leichter gewesen. Allerdings wäre hierbei eine Bibel auf thüringisch, sächsisch oder in ostfälischem Plattdeutsch entstanden. -  Statt dessen bemühte er sich, eine einheitliche „Volkssprache“ zu schaffen. Er wollte „eine gemeine deutsche Sprache, das mich beide, Ober- und Niederländer verstehen mögen“.

Die große Bedeutung Luthers bestand also u.a. darin, daß er aus den zahlreichen vorhandenen Dialekten eine einheitliche Sprache entwickelte.

Das Nebeneinander der Dialekte stellte ihn immer wieder vor die Qual der Wahl:

Sollte er wortzel oder wurtzel  schreiben, gahn oder gehen, war Kahn besser oder Narren, sollte er heucheln nehmen oder lieber gleiszen?

Meistens entschied er sich dabei für die Formen, die schon am weitesten verbreitet waren und seiner Ansicht nach die größten Chancen hatten, sich in ganz Deutschland durchzusetzen.

Ferner bemühte er sich um bildhafte Darstellung, auch durch Neubildungen. Viele von seinen kreativen Wortbildungen gehören heute zum festen Bestandteil der deutschen Sprache:

Feiereifer, friedfertig, Ehescheidung, Machtwort, Lästermaul, lichterloh, o.v.m.

Zu seinen Neuschöpfungen gehören auch zahlreiche Sprichwörter und Redensarten:

Aus seinem Herzen keine Mördergrube machen;
sein Licht nicht unter den Scheffel stellen;
Wesses Herz voll ist, des geht der Mund über.

Es war ein Glücksfall, daß wenige Jahrzehnte zuvor der Buchdruck erfunden worden war und die neue Drucktechnik eine massenhafte Verbreitung der deutschen Bibelübersetzung ermöglichte. Die neue Erfindung beschleunigte die Verbreitung der Bibelübersetzung und die Entwicklung zu einer einheitlichen Sprache ganz erheblich.

(Quelle: Krischke, a.a.O., Seite 76 ff.)