Gemeinsamkeiten der roman. Spr.

Im folgenden einige Gemeinsamkeiten der romanischen Sprachen:

1. Vokale in betonter Stellung haben sich weitgehend erhalten. Nur kurzes i (z.B. fides) und kurzes u (z.B. (turris) wurden oft zu e bzw. o

lat. deutsch ital. span franz.
fides Treue, Vertrauen la fede la fe la foi
turris Turm la torre la torre la tour (also unverändert geblieben)

2. Die Diphtonge ae/oe (z.B. quaestio, poena) und au (z.B. aurum) wurden oft zu e zw. o

lat. deutsch ital. span franz.
quaestio Frage la questione la cuestion la question
poena Strafe la pena la pena la peine
aurum Gold l’oro el oro l’or

3. Das h ist (wie schon im Vulgärlatein) überall verstummt, auch wenn es noch geschrieben wird.

4. Der Wortakzent wurde zunehmend von der auf die erste Silbe verlagert, weshalb sich die weniger betonten Silben veränderten oder sogar ganz verschwanden (einer der Gründe für den allmählichen Wegfall der Flexion!)

5. Die zunehmend nachlässige Aussprache von Endkonsonanten führte ebenfalls zu Vereinfachungen des komplizierten Flexionssystems

6. Der Zerfall des Kasussystems (nur noch 1 bzw. 2 Fälle statt 5 Fällen im klass. Latein) machte die freie Satzstellung unmöglich, so daß das Verb nunmehr nicht mehr am Ende des Satzes steht, sondern zwischen Subjekt und Objekt (SOV - -> SVO)

7. Das gesprochene Latein bevorzugt Wörter mit größerer Klangfülle

  • So werden bei esse, posse und velle klangvollere Analogiebildungen vorgenommen: esse > essere, posse > potere, velle > volere
  • während “magere” Wörter durch kräftigere ersetzt werden: res durch causa (frz. chose), ire durch ambulare bzw. vadere
lat. romanisch deutsch ital. span franz.
esse essere sein essere ser être
posse potere können potere poder pouvoir
velle volere wollen volere (querer) vouloir
ire   ambulare
vadere
gehen   andare
vado
(1. Pers.Pr.)

vadear
aller
je vais, tu vas, il va

8. Vereinfachung des Flexionssystems

Im Lateinischen war die Unterscheidung der kurzen und langen Vokale von sehr großer Bedeutung. Man mußte bei der Aussprache genau auf die Quantität der Vokale achten (vgl. po(pulus Volk, po-pulus Pappel; le(ctus Bett, le-ctus gelesen).

In der Umgangssprache wurde die Unterscheidung von langen und kurzen Vokalen immer mehr vernachlässigt; dadurch waren z.B. in der a-Deklination Nominativ und Ablativ nicht mehr hörbar unterscheidbar: forma konnte Nominativ und Ablativ sein.

Da ferner die Konsonanten s und m im Auslaut (also am Ende des Wortes) oft nicht gesprochen wurden, ließen sich z.B. bei der gemischten Deklination weder Genitiv und Dativ noch Akkusativ und Ablativ unterscheiden:z.B. parti(s), parte(m).

Bei der o-Deklination lauteten sogar Dativ, Akkusativ und Ablativ gleich, weil das auslautende -um im Akkusativ wie -o gesprochen wurde: z.B. numero

Diese Undeutlichkeiten verstärkten die in der gesprochenen Sprach ohnehin bestehende Tendenz, die Fälle Genitiv, Dativ und Ablativ durch präpositionale Ausdrücke zu ersetzen. So sagte man de parte statt partis und ad parte(m) statt parti. Genitiv und Dativ wurden demach mit de und ad gebildet (ital. di/a, span de/a, frenz. de/à) der bloße Ablativ kam nicht mehr vor.

Daher benötigte man außer dem Nominativ (z.B. pars) nur noch einen einzigen Fall (z.B. parte). Da dieser naturgemäß haufiger vorkam als der Nominativ (ein Satz hat ja nur einen Nominativ (Subjekt), aber i.d.R. mehrere Objekte), setzte er sich als die häufiger vorkommende Form allein durch und verdrängte die Nominativ-Form. Er liegt heute den neusprachlichen Wörtern zugrunde.

Im Zuge dieser Entwicklung verringerte sich auch die Anzahl der Deklinationsklassen:
Die u-Deklination (z.B. portus Hafen) ging in der o-Deklination auf,
die e-Deklination (z.B. facies Gestalt/Gesicht, fides Treue) in der a-Deklination (z.B. wurde aus facies nun facia, daher ital. la faccia) oder in der gemischten Deklination.

Somit waren die ursprünglich 5 Deklinationsklassen auf 3 reduziert, die es auch noch im Italienischen und Spanischen (nicht aber im Französischen) gibt.

9. Artikel

Zur Bezeichnung des Geschlechts (m/f) dient der Artikel, den es im klassischen Latein (noch) nicht gab. Er hat sich als unbestimmter Artikel (ein) aus dem Zahlwort unus, una, unum gebildet und ist als bestimmter Artikel (der, die, das) als dem ‘Demonstrativpronomen ille, illa, illud entstanden.

10. Weiteres

Weitere Einzelheiten sowie Vertiefungen der obigen Darlegungen erfolgen auf den nächsten Seite.