Amerikanische Sprachen
Die Sprachen der Sioux, Maya, Inka und Eskimos sind nur einige der unzähligen Eingeborenensprachen, die vor der Kolonisierung in Amerika gesprochen wurden.
Sie gehören verschiedenen Sprachfamilien an, die sich sehr stark voneinander unterscheiden und deren Geschichte bis heute nicht völlig erforscht ist.
Während in Süd- und Mittelamerika Indianersprachen wie Guaraní und Quechua noch immer blühen, sind sie im Norden Amerikas heute im Aussterben begriffen oder bereits ausgestorben.
1. Es ist der Forschung ...
... bis heute nicht gelungen, eine einheitliche Struktur aufzudecken. Hierfür scheint die Sprachenvielfalt zu unübersichtlich und inhomogen zu sein, vergleichbar vielleicht mit den pazifischen Sprachen, die sich ebenfalls einer Gliederung entziehen und keine erkennbare Struktur aufweisen.
Die herkömmliche Forschung schätzt derzeit die Anzahl der Familien auf etwa 60 in Nord- und 150 in Südamerika, also auf weit mehr als in der Alten Welt. In Afrika bspw. gibt es nur 4 Familien, in Europa sogar nur 2.
Vor diesem Hintergrund erscheint ein neuer Forschungsansatz von Bedeutung, der den Versuch unternimmt, eine einheitliche Strukur der Indiandersprachen Nord-, Mittel- und Südamerikas zu entwickeln.
Die herkömmliche Methode verfolgt eine Art “binäres” System, indem sie jeweils 2 Sprachen paarweise und in die Tiefe gehend mitander vergleicht, um auf diese Weise die Existenz oder Nichtexistenz einer Verwandtschaft zwischen 2 Sprachen zu erkennen.
Diese Methode hat sich bei Forschungen in anderen Bereichen bewährt, eignet sich jedoch offensichtlich nicht bei Sprachgebieten wie Amerika mit derart vielfältigen, unterschiedlichen und komplexen Sprachen und Sprachfamilien. Jedenfalls hat diese traditionelle Methode bislang keine Struktur der amerikanischen Eingeborenensprachen ans Licht gebracht.
2. Demgegenüber verfolgt der neue Forschungsansatz …
... (u.a. Greenberg/Ruhlen) einen anderen Ansatzpunkt. Mit ihrer “multilateralen” Methode untersuchen sie die Sprachen nicht paarweise, sondern in ihrer Gesamtheit, dafür jedoch (naturgemäß) zunächst nicht so tiefgehend wie bei dem bilateralen System. Dessen Methode wenden sie erst später an, um die von der Gesamtheitsmethode gelieferten Ergebnisse zu bestätigen, oder auch zu verwerfen.
Hierbei stützen sie sich auf den Umstand, daß Amerika nach dem gegenwärtigen Kenntnisstand nicht in einem Zug, sondern in 3 deutlich unterscheidbaren Schüben (von Norden über die Beringstraße) besiedelt worden ist, wohl abhängig von der Passierbarkeit der Landbrücke zu Asien.
Sowohl genetische wie auch anthropologische und linguistische Forschungen haben nämlich ergeben, daß eine deutliche Verwandtschaft dieser 3 Gruppen zu asiatischen Völkern besteht, wobei jede dieser 3 Familien - und zwar deutlich - einer asiatischen Sprachgruppe (genetisch wie sprachlich) näher steht als den beiden anderen amerikanischen.
Dies entspricht der wichtigen Erkenntnis: “Wenn eine Gruppe von Menschen ihr Heimatland verläßt und zum Beispiel auf eine ferne Insel zieht, dann nimmt sie sowohl ihre Sprache als auch ihre Gene mit. Von dieser Zeit an werden beide Merkmale sich allmählich von denen der Daheimgebliebenen weiterentwickeln.”
3. Greenberg/Ruhlen
erstellten nun Liste von rund 500 Allerweltswörtern, die sie für Hunderte voln Sprachen untersuchten: Personalpronomina, Körperteile, Begriffe aus der Natur, wie Wasser und Feuer, usw. Weil eine Sprachgemeinschaft derartige Begriffe - im Gegensatz etwa zu solchen für Handelswaren - in aller Regel nicht von anderen lernt, wird sie kaum einmal die dazugehörigen Wörter entlehnen.
Das Englische zum Beispiel bestätigt diese Regel:
Obwohl es viele Wörter aus vielen Sprachen entlehnt hat (insbes. aus dem Französischen und Keltischen), stammt der größte Teil seines Grundwortschatzes aus dem Urgermanischen.
De Ähnlichkeit von “one, two, three, I, mine, father, water” mit “eins, zwei, drei, ich, mein, Vater, Wasser” ist offensichtlich.
Das Ergebnis dieses Massenvergleichs bestätigte 2 der bereits vorher anerkannten Sprachfamilien (Eskimo-Aleutisch und Na-Dené). Es veranlaßte Greenberg/Ruhlen, die restlichen Sprachen zu einer dritten Sprachfamilie (Amerindisch) zusammen zu fassen.
Nach dieser Auffassung werden die vielen ursprünglichen Sprachen Amerikas in nur 3 Großfamilien eingeteilt:
Eskimo-Aleutisch: Arktis
Na-Dené: Kanada und Südwesten der USA
Amerindisch: (mit 11 Unterfamilien) Rest Nordamerikas und ganz Südamerika
Greenberg/Ruhlen weisen anhand einzelner rekonstruierter Schlüsselwörter nach, daß diese praktisch in allen Sprachen und Unterfamilien der jeweiligen Sprachfamilie vorkommen, nicht jedoch bzw. nur ganz vereinzelt (also zufällig) außerhalb der Sprachfamilie.
4. Kritik und Forschungsstand
Die Auffassung Greenbergs hat sich hinsichtlich der Zusammenfassung der Einzelsprachen zu den beiden erstgenannten Sprachfamilien Eskimo-Aleutisch und Na-Dené allgemein durchgesetzt und kann als gegenwärtiger Stand der Wissenschaft angesehen werden.
Dagegen wird seine These, wonach alle übrigen Sprachen einer dritten Sprachfamilie (sozusagen einer Supergruppe), dem sog. Amerindisch zuzurechnen seien, heftig kritisiert. Der traditionalistische Kreis der Forscher bemängelt vor allem, daß damit rund 150 Sprachfamilien der Urbevölkerung Amerikas zusammengefaßt werden, die nach dem Urteil der Spezialisten untereinander so verschieden sind wie das Indoeuropäische (also das Deutsche) und das Tibeto-Chinesische.
Die Befürworter von Greenbergs Theorie verweisen demgegenüber darauf, daß sie seine Methode vor fast 40 Jahren hervorragend bewährt hatte, als er die afrikanischen Sprachen neu klassifiziert und sie in nur 4 Gruppen eingeteilt hatte - ein Ergebnis, das auch von seinen heutigen Kritikern akzeptiert wird, die sich dagegen wenden, daß er die gleiche Methode jetzt bei der Klassifizierung der amerikanischen Sprachen anwendet.
Für die Auffasssung Greenbergs spricht auch, daß die Erstbesiedlung Südamerikas möglicherweise bereits vor rund 30.000 Jahren stattgefunden hat - also einem Zeitraum, in dem ohne weiteres einer derart tiefgreifende Aufsplitterung der ursprünglich homogenen Sprachen stattgefunden haben kann. Wobei die Aufsplitterung so nachhaltig gewesen gewesen sein kann, daß die Zusammenhänge heute mit den Werkzeugen der traditionellen Linguistik nicht mehr feststellbar sind.
Typisch für diese Betrachtungsweise ist z.B. die Kritik des klassischen Kinguisten Eric P. Hamp von der Universität Chicago, der sich gegen die von Greenberg potulierte gemeinsame Wurzel für Hund und Wolf (küjna / qüjna) wendet:
Der Austausch von k und q ist bereits nicht akzeptabel. Wir verfahren so in manchen Sonderfällen, aber nur, wenn wir das dahinter stehende phonologische System zu kennen glauben.
Gerade dieses Beispiel zeigt m.E., daß die Methodik der herkömmlichen Sprachforschung - so verdienstvoll sie sich abei der Erforschung der Sprachentwicklung über kürzere Zeiträume erwiesen hat - jedenfalls bei den hier in Frage stehenden Zeiträumen versagt.
Der völlig neue Forschungsansatz Greenbergs liegt ja gerade darin, daß er darauf verzichtet, die Wurzeln und die Entwicklung der Einzelsprachen zu ermitteln (wie es die traditionellen Spezialisten tun), sondern daß er nach komplexen Lautentsprechungen sucht, deren zufälliges Zustandekommen sehr unwahrscheinlich ist, und er sich außerdem auf auf Wörter konzentriert, die im allgemeinen nicht entlehnt werden.
Diese sog. “stabilen Wörter”, haben (nach allgemeiner Auffassung!) in jeder Sprache von Anfang an einen Namen, wie z.B. Körperteile oder natürliche Gegenstände wie Sonne und Mond. Begriffe wie “Haus” werden leicht entlehnt, bspw. wenn eine Gruppe bei einem benachbarten Volk eine andere Bauweise oder andere Baumaterialien sieht. In deraritgen Fällen wird - früher wie heute - mit dem Gegenstand auch der Name des Gegenstandes mit übernommen.
Völlig ungewöhnlich und die absolute Ausnahme ist es jedoch, Wörter wie Hand zu entlehnen. So etwas kommt erfahrungsgemäß praktisch nicht vor. Hierfür gibt es ja auch keinen vernünftigen Grund.
Die von zusammengestellten umfangreichen Materialien - deren détaillierte Darstellung über das Anliegen dieses Beitrages erheblich hinausgehen würde - beeindruckt qualitativ wie quantitativ. Es bleibt abzuwarten, ob sich ihre Theorie durchsetzen kann.
Weitere Unterstützung hat ihre Hypothese aber inzwischen von anthropologischer Seite erfahren, wonach in der Zahnstrukur der Bewohner Amerikas eine Aufgliederung in die gleichen 3 Gruppen gefunden worden sei (Fundstelle).